Probleme der Energiewende
Experte: Dann kommt in Deutschland der wahre Strom-Hammer
Experte: Dann kommt in Deutschland der wahre Stromhammer
Ein Bericht von Focus online vom 02.09.2024
- FOCUS-online-Top-Experte Anders Indset
Montag, 02.09.2024, 13:44
Die Überproduktion von erneuerbarer Energie führt auch in Norwegen zu negativen Strompreisen. Während Deutschland die offenen Flanken der Energiewende angeht, zeigen die Norweger, wie man grüne Energie jetzt schon effizient nutzt: Von bidirektionalem Laden bis hin zu innovativen Speicherlösungen.
Norwegen hat einen neuen Rekordpreis für Strom aufgestellt: -71 øre pro Kilowattstunde – das entspricht etwa -0,06 €. Aber was bedeutet das genau? Heute geht es um den nächsten Strom-Hammer, nachdem mein Artikel über das drohende Problem für die deutsche Wirtschaft durch zu niedrige Energiekosten, eine große Diskussion ausgelöst hat.
Über den Experten
Anders Indset ist mehrfacher Bestsellerautor und Deep-Tech-Investor. Der gebürtige Norweger ist Inhaber der Njordis Group, des Global Institute of Leadership & Technology (GILT) und Initiator der Quantum Economy Alliance. Er wurde von den Thinkers 50 als einer der zukünftig einflussreichsten Denker in den Bereichen Führung und Wirtschaft anerkannt. Zu seinen Publikationen gehören: „Wikinger Kodex – Warum Norweger so erfolgreich sind“, „Das infizierte Denken“, „Quantenwirtschaft – Was kommt nach der Digitalisierung?“ und „Wildes Wissen“. Indset war außerdem als Leistungssportler aktiv und spielte in der norwegischen Handballnationalmannschaft.
Warum Negativpreise nicht direkt in den Geldbeutel fließen
Kann man in Norwegen tatsächlich Geld verdienen, wenn man Strom verbraucht? Auf den ersten Blick klingt es verlockend: Geld verdienen durch Stromverbrauch. Doch so einfach ist es nicht. Der Negativpreis bezieht sich auf den sogenannten Spotpreis, der weder Netz- noch Nebenkosten enthält, die aber anfallen, weil die meisten Verbraucher heute noch an Stromnetze und Energieunternehmen gebunden sind. Diese gewährleisten einerseits eine stabile Energieversorgung, andererseits treiben sie aber auch die Kosten in die Höhe und verzögern die Umstellung auf erneuerbare Energien.
Die Wirtschaftswoche hat kürzlich eine anschauliche Darstellung der Kostenstruktur in Deutschland veröffentlicht:
- Energiebeschaffung: 42,5 %
- Netznutzungsentgelte: 28 %
- Umsatzsteuer: 16 %
- Stromsteuer: 5,5 %
- Konzessionsabgabe: 4,5 %
- Umlage Offshore-Netz: 1,8 %
- §19-Umlage: 1,1 %
- KWKG-Umlage: 0,7 %
Das Problem, dass die Verbraucher von den Negativpreisen nicht im großen Stil profitieren, liegt also weniger in der Energie selbst, sondern in der Beschaffung und den damit verbundenen Strukturen. Große Konzerne dominieren den Markt, was Flexibilität, technologische Fortschritte und letztlich auch geringere Stromkosten erschwert. Die eigentlichen Gewinner sind die Energieunternehmen.
Warum hoher Stromverbrauch nicht (immer) schlecht ist
Was aber steckt hinter den plötzlich auftretenden negativen Preisen in Norwegen? Die Antwort ist simpel, aber entscheidend: Es wird zu viel erneuerbare Energie erzeugt, dass sie nicht gespeichert werden kann, und deshalb wird sie zu einem negativen Preis auf dem Markt angeboten. Im Gegensatz zu den jüngsten Beispielen der exportierten Windenergie aus Schleswig-Holstein (vor wenigen Wochen), kam der Effekt in Norwegen letzte Woche vor allem aus den Niederlanden. In den Niederlanden und Norddeutschland weiß man schlicht nicht, wohin mit der überschüssigen Energie, da keine entsprechende Infrastruktur Richtung Süden gebaut wurde. Und da das Speichern nicht möglich ist, gibt es ein Dilemma. Zu viel Strom wird so zu einem Problem.
Denn in solchen Situationen der Überproduktion greifen sogenannte ‚Redispatch-Maßnahmen‘, um das Stromnetz zu stabilisieren und Überlastungen zu vermeiden. Die Betreiber von Stromerzeugungsanlagen, erhalten aufgrund von Netzengpässen, wenn sie ihre Produktion reduzieren oder ganz abschalten müssen, Kompensationszahlungen. Diese Zahlungen kompensieren die Verluste, die den Anlagenbetreibern entstehen, weil sie ihren erzeugten Strom nicht wie geplant ins Netz einspeisen können. In 2022 beliefen sich die Entschädigungszahlungen [1] auf 800 Millionen Euro. Die Kosten für diese Entschädigungszahlungen werden letztlich von den Netzbetreibern getragen, die sie wiederum über die Netzentgelte an die Stromverbraucher weitergeben. Daher tragen letztlich die Endverbraucher – du und ich – die Kosten für die Redispatch-Maßnahmen.
Die Kosten für Redispatch-Maßnahmen in Deutschland lagen im Jahr 2022 bei 4,2 Milliarden Euro. 14 Terawattstunden an erneuerbarer Energie [2] konnten nicht eingespeist werden. 2023 stieg die Menge des nicht eingespeisten Stroms sogar auf etwa 19 TWh. Die Kosten sanken allerdings auf 3,1 Milliarden Euro, was hauptsächlich auf den Rückgang der Energiepreise nach dem Höchststand im Jahr 2022 zurückzuführen ist.
Ein höherer Stromverbrauch in Regionen mit Überproduktion kann also helfen, das Netz zu entlasten und dadurch sogar die Stromkosten zu senken. Gleichzeitig trägt dieser Effekt auch zur Nachhaltigkeit bei, da beispielsweise 3000 kwh grüne Energie weniger CO2 verursacht als 1000 kwh aus nicht erneuerbaren Quellen. Es mag deswegen paradox klingen, aber in einigen Fällen führt ein höherer Energieverbrauch tatsächlich zu niedrigeren Preisen für alle und mehr Nachhaltigkeit.
“Es lebe das Dieselauto!” Rückwärtsspiegel statt Zukunftsvollgas
Der Energiemarkt steht vor einer großen Umwälzung: Dezentrale Lösungen und neue Technologien stellen Netzbetreiber und Energieerzeuger vor gewaltige Herausforderungen. Es geht nicht mehr um Ideologie und Klima, es geht um Wettbewerbsfähigkeit und transparente Preise, die zu einem grüne(re)n Planeten führen. Norwegen wettet auf die Zukunft und sorgt sich weniger um die Endlichkeit fossiler Brennstoffe. Die eigentliche Herausforderung liegt im Preis für die kostengünstige Sonnen- und Windenergie – Gas und Öl könnten bald nicht mehr wettbewerbsfähig sein.
“Kreative” Studien meinen zwar, dass ältere Technologien wie der Dieselantrieb noch Vorteile haben könnten, doch wir gestalten unsere Zukunft nicht, indem wir durch den Rückspiegel fahren. Denn während in Deutschland noch über Diesel und Benzin diskutiert wird, setzen andere Länder auf fortschrittliche Technologien wie Vehicle-to-Home (V2H). Ein einfaches Prinzip: Dein Elektroauto ist nicht nur ein Transportmittel, sondern auch ein Energiespeicher für dein Zuhause.
Eine Batterie aus einem Elektrofahrzeug kann bereits heute verwendet werden, um ein Haus mit Energie zu versorgen. Dies geschieht durch bidirektionales Laden, bei dem das Laden und Entladen aus derselben Struktur erfolgt und die Batterie mit dem Haus verbindet – eine Technologie, die bereits heute verfügbar [3] [4] ist. Die Kapazität von EV-Batterien liegt häufig zwischen 40 kWh und 100 kWh, was ausreicht, um ein durchschnittliches Haus für ein bis zwei Tage oder sogar länger zu versorgen, je nach Verbrauch. So ergäbe sich eine einfache Logik für die Norweger: Am Sonntag zu Minuspreisen laden und das Auto zum Wochenstart an das Haus anschließen.
Nissan hat das V2H-Konzept mit dem Nissan Leaf in Japan und anderen Märkten eingeführt, wodurch das Fahrzeug als Notstromquelle für Häuser genutzt werden kann. Tesla bietet mit der Powerwall eine Heim-Batterie zur Energiespeicherung an. Obwohl Tesla derzeit kein V2H-System für seine Fahrzeuge anbietet, arbeiten sie an Technologien zur Integration von Fahrzeugen in Heimspeichersysteme.
Nicht unbedingt als Autoland bekannt, aber Australien berichtete im Juli über einen Boost des bidirektionalen Ladens von Elektrofahrzeugen [5] . Die Technologie ist noch nicht ausgereift, aber gibt es Argumente dafür, dass hier keine weiteren Fortschritte passieren werden? Die Entwicklung steht erst am Anfang, und die Möglichkeiten sind laut den Entwicklern enorm. Überall auf der Welt entstehen diesen Sommer neue Initiativen.
Grüner geht’s immer
Habeck bemüht sich dieser Tage, die positiven Entwicklungen hervorzuheben: Denn es gibt einige deutsche Erfolgsgeschichten im Bereich erneuerbarer Energien zu erzählen. Die selbst gesteckten Ziele werden schneller erreicht als erwartet. Auch die Norweger erkennen die “Deutschland Geschwindigkeit” Auf der renommierten ‚Arendalswoche‘, einer jährlich stattfindenden politischen Veranstaltung, warnte Marktanalyst André Kallåk Anundsen von Skagerak Energi jüngst davor, dass norwegische Solarparks durch den schnelleren Fortschritt der ‘Energiewende’ in Deutschland bald weniger profitabel werden könnten. [6]
Wird Norwegen deshalb wieder vermehrt in fossile Brennstoffe investieren? Sicherlich nicht. Stattdessen wird Norwegen den Ausbau erneuerbarer Energien weiter vorantreiben, unterstützt durch staatliche Anreize und Förderungen – wie in Deutschland – , um im Wettbewerb bestehen zu können. Deutschland hingegen muss dann die Geschwindigkeit seiner Energiewende weiter deutlich erhöhen, um wettbewerbsfähig zu bleiben – insbesondere, da es im Vergleich zu Norwegen immer noch weniger alternative Energiequellen zur Verfügung hat, was vor allem für die energieintensive Industrie entscheidend ist. Während in anderen Ländern viel passiert, bleibt in Deutschland das Problem bestehen: Es fehlt aktuell an effizienten Speichermöglichkeiten und der notwendigen Infrastruktur, um den überschüssigen Strom sinnvoll zu nutzen.
In den USA beispielsweise arbeiten mehrere Bundesstaaten, darunter Michigan, Indiana und Florida, an der Erprobung von Induktionsstraßen – Straßen, die Elektrofahrzeuge während der Fahrt aufladen können. Diese Technologie wird als vielversprechend angesehen, um die Reichweite von Elektrofahrzeugen zu erhöhen und die Notwendigkeit langer Ladepausen zu verringern. In Schweden ist die Entwicklung der weltweit ersten permanent elektrifizierten Straße, auf der Fahrzeuge während der Fahrt aufgeladen werden können, bereits in vollem Gange. Die Straße zwischen Hallsberg und Örebro wird Teil der europäischen Route E20, und der Baubeginn ist für 2025 terminiert. Bis 2035 könnten bis zu 3000 km elektrifizierter Straßen in Schweden entstehen, so berichtet Euronews.
Der Wandel in anderen Ländern fördert vor allem vielversprechende Geschäftsmodelle. Für die grüne Partei mit ihrer ideologischen Herkunft ist der Schritt hin zu einer wirtschaftsorientierten Haltung schwer. Wenn es um Stimmen und Klima gehen soll, ist dieser heute aber erforderlich. Deutschland braucht eine radikale Neuausrichtung hin zu einer fortschrittsorientierten Wirtschafts- und Technologiepolitik. Eine solche Wirtschaftspolitik muss den Kapitalismus als treibende Kraft für Wandel und Wohlstand fördern, damit die Geschwindigkeit erhöht werden kann. Das heißt: massive Investitionen in Infrastruktur, Anreize für das Unternehmertum und ein Glauben an das Potential exponentieller Technologien. Es geht nicht primär um Klimaschutz, sondern um Effizienz. Wenn in Zukunft nicht hyper-effizient mit Ressourcen umgegangen wird, kann kein Geld erwirtschaftet werden. Dies fördert letztlich auch den Klimaschutz. Kapitalismus und Marktwirtschaft sind somit die treibenden Kräfte der grünen Wende.
Warum sinkt der Strompreis in Deutschland nicht?
Nach Angaben von Verivox haben mehr als fünf Milliarden Euro zu viel für Strom bezahlt werden, weil die Kunden den Anbieter nicht wechseln. Fast ein Viertel der Haushalte in Deutschland bezieht weiterhin Strom über den Grundversorgungstarif des örtlichen Anbieters, der die mit Abstand teuerste Tarifoption ist, so die WiWo. [7] Ein bedeutender Faktor, warum die Kosten für Energie nicht sinken, liegt also an uns selbst: Wir als Verbraucher üben keinen Druck aus.
Der Hauptgrund, warum die Kosten für Energie nicht sinken, sind aber die fehlenden Anreize für den Aus- und Umbau. Diese müssen geschaffen werden. Statt Krisenmodus braucht es ein Verständnis für Technologie und deren ökonomische Auswirkungen. Denn trotz aller Anstrengungen werden in Deutschland vorhandene Technologien nicht schnell genug weiterentwickelt. Stattdessen sind wir damit beschäftigt, in Bürokratie zu versinken, mit dem Finger auf andere zu zeigen und moralische Debatten zu führen. Das kostet nicht nur Zeit, sondern auch viel Geld. Häufig sind es ‘die bösen Chinesen’, die noch Kohlekraftwerke bauen.
Experte: Dann kommt in Deutschland der wahre Strom-Hammer
Dabei verkennen wir, mit welcher Geschwindigkeit auch sie grüne Energie vorantreiben. Lag der Anteil bei Stromerzeugung aus sauberen Energiequellen wie Wind-, Solar-, Wasserkraft- und Kernenergie 2023 bei 28%, so sind es seit Mitte 2024 etwa 44 %. Der Anteil der dominierenden bösen Kohle ist auf ein Rekordtief von 53 % gesunken. Im ersten Halbjahr 2024 entfielen allein auf Solarenergie 68 % der neu hinzugekommenen Kapazitäten. China hat im August sein selbst gestecktes Ziel von 1,200-Gigawatt an Wind- und Solaranlagen erreicht – ganze sechs Jahre vor dem ursprünglich für 2030 [8] gesetzten Ziel! Überall entstehen Wettbewerb und hoher Kostendruck aufgrund der raschen technologischen Umwälzung.
Als Kunden verstehen wir den Markt nicht und machen zu wenig Druck, Unternehmer erkennen das Potenzial zukünftiger Technologien nicht und die Politik traut sich nicht, die Wirtschaft als Grundlage einer nachhaltigeren Welt zu fördern. Kostenloses Laden, das Auto als Hausbatterie nutzen und eine deutliche Senkung der Strompreise – all das ist aber auch in Deutschland möglich. Du musst nicht an eine solche Zukunft glauben, sie kommt aber trotzdem, und du wirst davon profitieren. Die Frage ist, wie schnell und ob dann die Produkte und Lösungen aus Deutschland kommen – und hier können wir als Verbraucher maßgeblich die Entwicklung mit beschleunigen – dann folgt der wahre Strom-Hammer! – und wir können gemeinsam die Grenzkosten für Energie in Richtung 0 treiben.
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