Feuer, Eis und Rotorbruch – Wie sicher sind unsere Windgiganten? | ECHT | MDR DOK

In unserem Land gibt es 30.000 Windkraftanlagen. Alternative Energie ist gut, doch welche Risiken gibt es?

Wie riesige brennende Fackeln stehen sie in der Landschaft. Was ist hier passiert? Menschliches Versagen? Oder eine technische Havarie? Und dann der Totalschaden. 100 m lange Windräder, umgeknickt wie Strohhalme.

Tickende Zeitbomben oder alles nur Panikmache?

Der TÜV spricht von 50 Havarien pro Jahr. Wenn es Menschenleben kostet oder jemand zu Schaden kommt, wäre das mit nichts aufzuwiegen.

Wie sicher sind unsere Windgiganten?

Wie beim TÜV fürs Auto, bekommen auch Windkraftanlagen verschiedene Prüfplaketten. Dadurch wird garantiert, dass die Sicherheitstechnik einwandfrei funktioniert.

Dieses Windrad steht im Windpark Osterburg. Es ist eine gewaltige Erscheinung und 4 Mio. Euro wert.

Unten ein Betonfundament von 29 Metern Durchmesser. Im Boden stecken 1.400 Kubikmeter Beton. 264 Stahlbolzen verankern den Koloss bis zu 3 m tief im Fundament. Die Flügel sind genau 64 Meter und 50 Zentimeter lang. Der Rotor-Durchmesser kommt auf stolze 136 Meter. Der Generator sitzt auf einer Nabenhöhe von 149 Metern. Steht einer der Rotoren ganz oben, erreicht er 217 Meter. Das ist fast dreimal so hoch wie das Völkerschlachtdenkmal. Die Materialbelastung ist extrem. Schwingungen bis zu einem Meter. Und wenn der Wind so extrem bläst, kommt es immer wieder zu verheerenden Havarien.

Der 12. Dezember 2016 in Grischow in Mecklenburg. Ein 70 m hohes Windrad bricht einfach in der Mitte auseinander. Die Ursache ist unklar. Die Anlage ist 16 Jahre alt.

Der 27. Dezember 2016 im sächsischen Sitten bei Leisnig. Eine Windkraftanlage, umgeknickt wie ein Strohhalm. Wahrscheinlich haben unkontrollierte Schwingungen den Turm zum Einsturz gebracht. Das Windrad ist 17 Jahre alt.

3. Januar 2017, Neu Wulmstorf bei Hamburg. Ein 94 m großes Windrad kippt einfach um. In 20 m Höhe brechen 80 Verbindungsbolzen. Es wird Materialermüdung vermutet. Die Anlage ist 15 Jahre alt.

Am gleichen Tag in der Uckermark. Ein fast 40 m langes Rotorblatt knickt in Zichow ab. Das Windrad steht direkt an einer Bundesstraße. Aus Angst vor herabstürzenden Teilen muss die Straße tagelang gesperrt werden. Alter der Anlage: 12 Jahre.

Vier schwere Havarien in nur einem Monat. Wie kann das sein?

Mangelhafte Wartung, krasse Stürme? Softwarefehler in der Betriebsstörung? Oder vielleicht waren die Anlagen zu alt? Erst mal muss man sehen, das passiert sehr, sehr selten.

Da spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Es kann sein, dass eine Materialermüdung stattgefunden hat. Sei es in Turm oder im Rotorblatt. Es kann sein, dass eine Bremse mal nicht gegriffen hat. Durch zu hohe Windlasten ist zu viel Torsion und Bewegung auf dem Turm, dass so eine Anlage dann leider doch mal abknickt.

Stürme in Deutschland werden immer häufiger. Sie decken Dächer ab, wie hier in Bitburg. Bei solchen Wetterlagen sind unsere Windräder besonderen Belastungen ausgesetzt. Passiert eine Havarie, sind die Folgen verheerend.

Am 4. März 2019 zerstört ein Gewitter ein Windrad in Rheinland-Pfalz bei Hahnweiler. Wahrscheinlich ist ein Blitz eingeschlagen.

……… Anwohner, die den Vorfall gesehen haben.

Sie beobachten, dass eines der 40 m langen Rotorblätter in Teile zerfetzt wird. “Man sah die Teile wegfliegen. Das waren keine kleinen Teile, die sich von diesem Windrad lösten. Wir haben gesehen, dass sich die Teile zunächst vom Ort weg bewegen. Da macht man sich schon Gedanken. Aber was ist, wenn der Wind dreht? Auf der anderen Seite ist die Autobahn. Doch was ist, wenn die Teile auf das Haus zukommen?”

Verletzt wird niemand, aber der Wind weht einige Teile mehrere 100 m Meter weit bis zur Autobahn. Diese bleibt 4 Tage lang gesperrt. Bei schlimmeren Havarien konnten wir auch beobachten, dass es zu Rotorblatt-Abrissen kam. Die sind zum Teil auf Autobahnen gelandet. Oder man fand einzelne Teile über hunderte Meter in den Wiesen.

Dr. Joachim Bühler vom TÜV Verband fordert strengere Kontrollen für die Windkraftanlagen in Deutschland.

Bis zu 50 Havarien pro Jahr seien ein Warnsignal. Ein Wunder, dass bislang noch niemand zu Schaden gekommen sei. Wir hatten zum Glück in Deutschland bisher noch keinen Personenschaden. Es war bisher alles auf Sachschäden begrenzt. Wir müssen dafür sorgen, dass so was nicht vorkommt. Diese Windräder sind heute oft über 16 Jahre alt.

Wir brauchen mehr Windenergieanlagen für die Energiewende. In der dicht bebauten BRD muss die Sicherheit höchste Priorität haben. Ein Sicherheitsrisiko sieht der TÜV weniger bei den neuen Anlagen, sondern v.a. bei den Alt-Anlagen. Die Anlagen, die vor 2004 errichtet worden sind, das sind mindestens 1/3 aller Anlagen in Deutschland. Das sind über 10.000 Anlagen.

Sie unterliegen überhaupt gar keiner bundeseinheitlichen Richtlinie.

Da kommt es auf die einzelnen Landesbehörden an. Haben sie den Betreibern Auflagen für wiederkehrende Prüfungen gemacht oder nicht.

Warum muss sich die Gondel drehen?

Die Gondel muss sich drehen, weil die sich immer dem Wind nachführt. Wir wollen den Rotor immer in Windrichtung haben. Damit haben wir möglichst viel Last auf dem Rotor, um Stromleistung produzieren zu können.

Die Gesetze der Aerodynamik haben ergeben, dass ein Windrad nicht 2, 4 oder 5 Rotorblätter haben sollte, sondern 3. Windanlagen mit 3 Rotorblättern nutzen den Wind am effizientesten. Der Wind ist immer in Bewegung. So variieren die Geschwindigkeit des Windes und die Windrichtung.

Diese beiden Größen müssen also permanent überwacht werden. Das sogenannte Anemometer misst die Windgeschwindigkeit. Die Windfahne erfasst die Windrichtung.

Um den 230 Tonnen schweren Aufbau zu bewegen, springen Elektromotoren an. Versorgt natürlich mit Strom aus der eigenen Herstellung. Bei modernsten Anlagen wie in Osterburg können sogar die Rotorblätter gedreht werden. Entweder um den Wind optimal auszunutzen oder um bei Starkwind dem Wind keine Angriffsfläche zu bieten. Versagt diese Technik bei einem Sturm, dann dreht sich die Anlage nicht aus dem Wind.

Das hat schwerwiegende Folgen. Wir haben in den letzten Jahren zum Teil sehr heftige Stürme in Deutschland erlebt. Grundsätzlich sind die Anlagen dafür gebaut, diese Stürme auszuhalten. Oder wenn sie zu heftig werden, sich aus dem Wind zu drehen. Die geringere Angriffsfläche für den Wind nimmt die Belastung für die Standfestigkeit heraus. Aber bei Materialermüdung kann eine Windanlage auch umfallen.

20.000 Volt, das ist eine ordentliche Spannung, die hier oben produziert wird, in 150 Metern Höhe. Dazu gibt’s viel Fett und Öle, um die Getriebe zu schmieren. Es gibt Zahnräder, die ineinandergreifen, da entsteht Reibung, Hitze. Perfekte Zutaten für ein Feuer. Da reicht schon der kleinste Funke. Wie aus dem Nichts brennt ein Windrad.

2016: Scholen in Niedersachsen. Die Feuerwehr kann nur zuschauen, als die riesigen Rotorblätter auf die Erde fallen. Unsere Maßnahmen beschränken sich darauf, weiträumig abzusperren. Ein Windrad brennt wie eine riesige Fackel.

2018, in Rhede im Münsterland. In der Nacht hat sich eine Anlage entzündet. Auch bei diesem Inferno kann die Feuerwehr nur zusehen. “Uns bleibt nur die Möglichkeit, den Brand durch herabstürzende Teile, die von der Windkraftanlage fallen, einzudämmen. Wir müssen warten, bis die Anlage komplett abgebrannt ist. Teile stürzen herab und wir wollen keine Einsatzkräfte gefährden.”

2019 in der Gemeinde Uplengen in Ostfriesland. Nahe der Autobahn 28 brennt ein Windrad. Erst brennt die ganze Gondel ab, dann stürzen Teile der Rotorblätter in die Tiefe. Von der Anlage bleibt kaum etwas übrig.

Im gleichen Jahr, einen Monat später. Syke in Niedersachsen. Mal wieder ist die Feuerwehr zur Stelle, mehr als 50 Einsatzkräfte. Und wieder können sie nichts tun.

Wie kann das sein, dass Feuer ausbricht?

…zum einen durch Blitzschlag, wenn die Anlage durch einen Blitz getroffen wird. Da kann ein Feuer entstehen. Oder es ist da überall, wo Reibung ist, viel Reibung, entsteht auch Hitze. Wenn ein mechanisches Bauteil ausfallen sollte und dort zu viel Hitze entsteht, kann dort ein Feuer ausbrechen.

Wenn Feuer ausbrechen sollte, gibt es ein Schutzsystem? Wir haben in der Gondel, im Maschinenhaus Rauchmelder, die verbaut sind. Und in den Schränken, wo die Leistungssteigerung integriert ist, dort sind auch Rauchmelder verbaut. Zudem auch noch ein Feuerlöschsystem. Wenn ein Sensor ein Feuer oder eine Rauchquelle entdeckt, löst dieses System automatisch aus und erstickt das angehende Feuer mit einem Löschgas.

“Das lichterloh brennende Windrad bleibt also die große Ausnahme.” So sieht das auch Wolfram Axthelm vom Bundesverband Windenergie. Er will die Windkraft in Deutschland voranbringen. “Es ist so, dass eine Havarie an einer Windkraftanlage ein so seltenes Ereignis ist.

.Es gibt keine Personenschäden an Anlagen die dadurch verursacht werden, dass dort eine Havarie auftritt. Personenschäden haben mit menschlichem Versagen zu tun, wenn ein Mitarbeiter vergisst, den richtigen Knopf zu drücken. Oder von oben ein Schraubenschlüssel runterfällt.”

Was aber ist mit dem Supergau?

Anlagen die komplett kollabieren, aus dem Nichts einfach abknicken Wie gleich viermal geschehen zum Jahreswechsel 2016/17. Auch dafür hat Wolfram Axthelm eine Erklärung, und gibt Entwarnung. Experten hätten die Schwachstellen identifiziert und Maßnahmen ergriffen.

“Es ging um die Frage: Was ist mit den Bolzen, die im oberen Teil zwischen Anlage und Generator die Verbindung herstellen? Es hat sich gezeigt, dass es Schwachpunkte gibt. Wenn die erkannt werden, führt das zum flächendeckenden Austausch.

Bei vernünftiger Wartung ist es kein Problem, diese Anlagen 25/30 Jahre zu betreiben.”

Es gibt ein großes Interesse der Eigentümer, Betreiber und Versicherer, dass die Anlagen fehlerfrei funktionieren. Ein Fehler könnte Millionen kosten. Deshalb gibt es das Checkheft, so wie beim Auto.

Aber der TÜV sagt, dieses Checkheft reicht nicht aus.

Wer ein Windrad betreibt, macht mindestens einmal im Jahr eine Sichtkontrolle der gesamten Anlage. Dazu kommt eine Maschinenwartung und die Sicherheitsprüfung.

Der Betreiber entscheidet, wer diese Prüfungen durchführt, je nach Wartungsvertrag. Und dieser Vertrag ist mal strenger, mal weniger streng. Auch Geld sparen ist möglich. All das passiert in der Eigenregie der Betreiber.

Diese Praxis kritisiert der Mann vom TÜV.

Bei jeder Prüfung muss derjenige, der prüft, unabhängig sein. Er darf nicht selber Betreiber sein oder Interesse an der Anlage haben. Es muss eine Unabhängigkeit nachgewiesen werden und dafür gibt’s Qualitätskriterien. Bei den ” zugelassenen Überwachungsstellen”, ZÜS. Bislang kommt der TÜV oder die DEKRA nur einmal im Jahr, wenn der Aufzug überprüft wird. Alle 4 Jahre dann wird das gesamte Windrad auf Herz und Nieren durchgecheckt. In der sogenannten wiederkehrenden Prüfung.

Der TÜV sagt: dieses Prüfintervall ist zu groß.

Auch moderne Windräder sollten alle 2 Jahre komplett durchgecheckt werden. Wir brauchen alle 2 Jahre wiederkehrende Prüfungen. Wir brauchen bundeseinheitliche Regelungen, die sich am höchsten Sicherheitsniveau orientieren. Die Überprüfung der Windräder sei nicht unabhängig und passiere nicht oft genug.

29:26Copyright UT: MDR 2021

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